Letzten Juli besuchte Ursula von der Leyen die aserbaidschanische Hauptstadt Baku. Dort bedankte sich die Präsidentin der EU-Kommission beim aserbaidschanischen Machthaber Ilham Alijew für seine Unterstützung der Europäischen Union. Aufgrund des russischen Angriffskrieges habe die EU die Entscheidung getroffen, sich «von Russland unabhängig zu machen und sich zuverlässigeren, vertrauenswürdigeren Partnern zuzuwenden», sagte von der Leyen. Ein solcher sei Aserbaidschan: «Sie sind für uns in der Tat ein wichtiger Energiepartner, und Sie waren schon immer zuverlässig», lobte von der Leyen ihren Gastgeber. Der Deal: in den nächsten fünf Jahren sollen die aserbaidschanischen Gasausfuhren nach Europa verdoppelt werden.
Das europäische Bestreben, sich von dem so autoritären wie angriffslustigen russischen Herrscher Vladimir Putin unabhängig zu machen, ist natürlich begrüssenswert. Aber was wird erreicht, wenn man die eine Diktatur durch die andere als Energielieferanten ersetzt? Das Regime von Alijew ist sicherlich nicht weniger diktatorisch als das Putins. So schneidet Aserbaidschan in unterschiedlichen Rankings – wie dem Freedom in the World Index von Freedom House – sogar noch schlechter ab als Russland. Auch Angriffskriege liegen Aserbaidschan nicht fern. In der Nacht vom 12. auf den 13. September griffen aserbaidschanische Truppen armenisches Territorium an. Und zwar nicht die von Armeniern bewohnte Enklave um Artsakh/Bergkarabach, sondern die allgemein anerkannten Staatsgrenzen Armeniens. Über 200 armenische Soldat*innen kamen dabei ums Leben.
Ist es wirklich aserbaidschanisches Gas?
Ganz abgesehen von den grausamen Machenschaften Aserbaidschans gibt es eine weitere Entwicklung. die den Deal zwischen der EU und Aserbaidschan in eine gewisse Absurdität rückt. Im November gab der staatliche russische Gasproduzent und -exporteur Gazprom bekannt, dass er mit Gaslieferungen an SOCAR begonnen habe und bis März 2023 insgesamt bis zu einer Milliarde Kubikmeter liefern werde. Der Vertrag soll Aserbaidschan dabei unterstützen, die Versorgung seiner inländischen Gasverbraucher aufrechtzuerhalten und gleichzeitig seinen kürzlich ausgeweiteten Handel mit Europa zu erfüllen.
In der Vereinbarung zwischen Brüssel und Baku wurde tatsächlich nie geklärt, woher genau das zusätzliche Gas kommen soll. Das neue Abkommen zwischen Gazprom und SOCAR widerspricht jedoch eindeutig der politischen Absicht der EU, die Menge des nach Europa fliessenden aserbaidschanischen Gases zu erhöhen, um ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Wo SOCAR draufsteht, könnte demnach auch russisches Gas drin sein – trotz der umfangreichen Sanktionen an Russland.
Wir verlangen Besseres!
Europa will sich aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien und kollaboriert nun mit dem Kriegsverbrecher Ilham Alijew statt mit Putin. Während Alijew allerdings genauso ein Diktator ist wie Putin, bringt SOCAR durch den Gazprom-Deal russisches Gas zurück nach Europa – eine Taktik, mit der die Diktatoren die auferlegten Grenzen und Schutzmassnahmen der demokratischen Welt wieder aushebeln. Auch die Migros darf diese Doppelmoral nicht übersehen und muss ihre Stimme erheben.
Denn indem die Migros mit SOCAR zusammenarbeitet, billigt sie stillschweigend Bestechung, Folter und die Zerstörung westlicher und demokratischer Werte. Wo liegt die Grenze für die Migros? Wie viel Zerstörung und Terror muss Alijew anrichten, bis die Migros ihren Vertrag mit SOCAR nicht mehr verlängert?
Die Migros muss ihren selbsternannten Werten gerecht werden, Aserbaidschan verurteilen und die Partnerschaft mit SOCAR beenden. Wir verlangen Besseres.